Ein halbes Jahr als Au Pair in China

von Judith Liehr

Unsere Programmteilnehmerin Mareike Kleinböhl hat mit diesem Essay den Titel „Au-Pair des Jahres 2013" des Deutschen Bundesverbandes (APSeV) im Bereich Outgoing gewonnen.

Die Preisverleihung fand am 28. September während der Jahreshauptversammlung des Verbandes in Bad Homburg statt. Mareike hat uns gestattet ihren Essay in unserem Blog zu veröffentlichen, um unseren Leserinnen und Lesern einen Einblick in das Leben als Au-Pair in China zu ermöglichen. Viel Spaß beim Lesen!

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Mareike在北京 (Mareike in Peking)

"Als ich am 31.11.2012 in den Flieger am Frankfurter Flughafen stieg, dachte ich, dass ich ungefähr wüsste, was mich in Chinas Hauptstadt Peking erwarten würde. Immerhin hatte ich dort schon einmal im Rahmen eines Schulpraktikums für einen Monat in einer Gastfamilie gelebt und auch bereits drei Jahre lang Chinesisch gelernt. Doch wie in so vielen anderen Städten in China bleibt auch die Zeit in Peking nicht stehen. Hier nun ein paar Zahlen zum Vergleich:
Während Berlin mit 892km2 und 3,29 Millionen Einwohnern die größte Stadt Deutschlands ist, nannte Peking im Jahr 2012 stolze 16.800km2 und 20, 7 Millionen Einwohner sein Eigen. Erst als ich nun zum zweiten Mal in dieser Stadt lebte, wurde mir diese Dimension erst richtig bewusst. Wenn man wie ich aus einer deutschen Großstadt wie Wiesbaden kommt, kann man sich diese Größe, gerade wenn man in Peking häufig in der U-Bahn unterwegs war, kaum vorstellen. Und doch stand ich eines Tages an einem mir noch unbekannten Ende der Stadt und sagte zu meiner kanadischen
Au Pair-Freundin: „Mir war das nie so bewusst, aber dieser Ort ist ja riesig!"
Allerdings hätte ich gedacht, dass gerade ein solch boomendes Land wie China in den zwei Jahren, in denen ich nicht hier war, doch eine größere Veränderung in Sachen Behandlung von Ausländern durchgemacht hätte. Nicht, dass man in irgendeiner Form unfreundlich an uns heran gegangen wäre – ganz im Gegenteil: Ich wurde erstaunlich häufig auf der Straße angesprochen, ob man nicht mit mir ein Foto machen könne, weil meine Haare blond, meine Haut recht blass und meine Augen blau seien, ich also wunderbar in das chinesische Schönheitsbild hinein passe. Da gerade viele Chinesen aus den provinziellen Regionen nach Peking ziehen und diese zuvor noch nie eine – wie man uns dort auch gerne nennt – „Langnase" gesehen haben, kam es häufiger zu unverhofften Fotoshootings oder kurzen Unterhaltungen auf Chinesisch. Und das obwohl in Peking (natürlich ohne die stattliche Zahl der ausländischen Touristen mitgerechnet) 200.000 Ausländer leben.
Und so zieht sich der Faden meiner These „China, ein Land der Gegensätze" weiter fort. Die chinesische Gesellschaft versucht die eigene Kultur zu bewahren, aber sich auch den westlichen Einflüssen nicht komplett zu verschließen: So sieht man häufiger westliche Fastfoodketten, die ihre Filialen in traditionell chinesischen Architekturkomplexen unterbringen. Oder auch die Tatsache, dass jeder, der das Geld aufbringen kann, ein nagelneues iPhone besitzt, sich aber in Gemeinschaftsduschen badet, da das Geld für einen privaten Wasseranschluss fehlt.
Apropos iPhone: Meine Gastfamilie liebte es Veranstaltungen, die mit mir besucht wurden oder Bilder, die mit mir geschossen wurden, für ihre Freunde in einer Art chinesischem Facebook zu posten. „Unser Charly" war gestern – „Unser Ausländer" voll angesagt. Dies war jedoch sehr hilfreich, da die Angehörigen bei diversen Familientreffen so schon viel über mich wussten und ich so mehr Zeit hatte, um Dinge über die chinesische Kultur oder Ähnliches zu erfragen.
Wen es nun interessiert in was für einer Familie ich gearbeitet habe, für den hier einige Informationen:
An sich besteht meine Gastfamilie aus fünf Persönlichkeiten. Da wären einerseits meine Gastmutter Helen, die zu Hause bleibt, um das noch dort lebende Kind zu erziehen und der Gastvater Toni, der häufig auf Geschäftsreisen war und so nur alle paar Wochen für ein oder zwei Tage nach Hause kam. Außerdem gibt es noch meinen Gastbruder, der allerdings schon 21 ist und in den USA studiert und das Zentrum meiner Aufmerksamkeit: Cathy, meine neunjährige Gastschwester. Eigentlich darf man an dieser Stelle auch die Familienhündin Yuanbao nicht vergessen, die zwar täglich von mir Gassi geführt wurde, ansonsten aber viel Zeit ins in der Sonne liegen und Schlafen investierte.
Generell lag das Hauptaugenmerk meiner Aufgaben als Au Pair auf dem Englischunterricht, den ich Cathy täglich gegeben habe. Dies war der Familie besonders wichtig, da das langfristige Ziel war, dass Cathy wie ihr Bruder in Amerika studieren kann. Natürlich ging mein Aufgabenspektrum weit über den Unterricht hinaus. Ich machte sie montags bis freitags um sechs Uhr morgens für die Schule fertig und stand ihr am Nachmittag bei Hausaufgaben oder eben auch Problemen, die man als Kind ja hin und wieder im Alltag hat, zur Seite. Ich leistete ihr Gesellschaft wenn sie Klavier übte und verbrachte auch ansonsten viel Zeit im Schwimmbad oder auf dem Spielplatz mit ihr. Wir verstanden uns so gut, dass ich in viele ihrer Geheimnisse eingeweiht wurde und so zum Beispiel ihr erstes Mal verliebt sein miterleben konnte. Obwohl es am Anfang nicht gern von der Familie gesehen war wenn ich das Haus verließ, wurde meinen Gasteltern schnell klar, dass ich immer pünktlich zu Arbeitsbeginn zu Hause sein würde um meine Aufgaben mit Cathy zu erledigen. So entwickelte sich ein sehr gutes Verhältnis zwischen meiner Gastfamilie und mir. Ein besonderes Highlight für mich war der Moment, als ich im Rahmen des chinesischen Frühlingsfestes vor sämtlichen Angehörigen und vielen Freunden von meinem Gastvater offiziell in die Familie aufgenommen wurde – für einen Ausländer eine große Ehre.

Mareike liest ihren Essay vor.


Aber nicht nur die Bande zu meiner Gastfamilie wurden stärker. Durch den engen Kontakt zu anderen Au Pairs, die von meiner chinesischen Agentur vermittelt wurden, habe ich viele internationale Freunde gefunden. Und damit meine ich nicht nur innereuropäische Kontakte, sondern auch Kanadier, Amerikaner und Ecuadorianer, zu denen ich, genau wie zu meiner Gastfamilie, immer noch Kontakt halte.
Allerdings braucht man hin und wieder schon etwas „Urlaub" von der doch recht Smog-heimgesuchten Stadt Peking. So reiste ich an meinen freien Tagen sehr gerne und ausgiebig in Richtung Süden. Ich fuhr per Zug nach Xi'an ins Herzen Chinas, um die Terrakotta-Armee anzuschauen. Dort traf ich durch Zufall einige deutsche Studenten in meinem Alter, die gerade ein Auslandssemester in Shanghai einlegten und ebenfalls in Xi'an Sehenswürdigkeiten besichtigten. Wir verstanden uns auf Anhieb gut und haben uns sehr gefreut, als wir uns ca. einen Monat später auf meiner Reise durch Nanjing, Suzhou und Shanghai wiedertrafen. Ich kann nur empfehlen, dass wenn man nach China fliegt auf jeden Fall die Zeit investiert wird um mehrere Städte anzuschauen. Denn allein durch seine große Fläche hat China eine enorme Bandbreite an Städtevariationen zu bieten.

Wenn ich mein Auslandshalbjahr noch einmal revuepassieren lasse, wird mir noch einmal klar, wie viel Glück ich doch gehabt habe. Zwar habe ich natürlich auch unschöne Seiten Chinas kennengelernt, z.B. dass mein Handy nach gerade einmal zwei Wochen Aufenthalt gestohlen wurde oder dass mir ein Bankautomat fast die Hälfte meines Monatslohnes in Falschgeld ausgezahlt hat, habe aber sehr viel für mein Leben dazu gelernt: Meine chinesischen Sprachkenntnisse wurden verbessert, mir wurde durch das Leben in einer chinesischen Familie ein tiefer Einblick in die Kultur geboten, ich habe gelernt mich auch wenn es mal nicht optimal läuft durchzubeißen, ich bin gereist, habe so auch noch andere Teile Chinas bewundern dürfen und habe viele Kontakte zu Leuten auf der ganzen Welt knüpfen können.
Ein asiatisches Sprichwort besagt: „Einmal selbst sehen ist mehr wert als hundert Neuigkeiten hören." Und wie ich nun aus eigener Erfahrung sagen kann ist es China definitiv wert einen Blick zu riskieren."

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Ich bin froh, dass ich während des abschließenden gemeinsamen Abendessens noch Gelegenheit hatte, Mareikes Erzählungen von ihren Erlebnissen, Eindrücken und Erfahrungen in China zuzuhören. Das war sehr interessant – und auch für mich definitiv noch lehrreich! Wir wünschen Mareike alles Gute für ihre Zukunft. :)

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